Der Ganzjahresbetrieb im 20. Jahrhundert
Eine Kindheit auf der «Alpe Lüasa»
In seiner Ausgabe vom 15. Juli 2011 hat «L’Informatore», die Wochenzeitung des Mendrisiotto, eine ganze Seite mit den Erinnerungen von Albina Cereghetti aus Cabbio publiziert. Albina Cereghetti ist 1939 auf der Loasa geboren und lebte dort bis 1947. Wer Albinas Erinnerungen gerne im schönen Tessiner Dialekt liest, findet sie (samt Übersetzung ins Italienische) unter www.sevac.ch/pages/sm_quarta02/alpe_luasa.htm. An dieser Stelle aber eine Zusammenfassung auf deutsch. Albinas Grossvater Giacomo Rossi kam als junger Witwer und allein erziehender Vater dreier Kinder vom Comersee her auf die Loasa. Wann das war, geht aus dem Artikel nicht hervor, es muss in den Nulleroder Zehnerjahren gewesen sein. Auch ob er die Loasa damals unbewohnt vorfand, pachtete oder sonstwie übernahm, erfährt man nicht. Aus einer Statistik von 1911 wissen wir aber, dass die Loasa damals Marco Galli und P. Vanini gehörte (nur die Gebäude und deren Umschwung; Wald und Weide gehörten der Bürgergemeinde von Morbio Superiore, deren einzige Alp die Loasa war), dass die Weide 10 und der genutzte Wald 25 Hektar umfasste und 14 Kühe, 7 Rinder, 3 Kälber, ein Stier, ein Maultier, ein Schaf, 7 Schweine, 32 Ziegen und 40 Kleintiere auf der Loasa lebten – und dass eine Kuh pro Tag drei Liter Milch gab (vgl. Loasa-Mitteilungsblatt 2/1995). Giacomos Sohn Enrico lernte 1938 in Caneggio die Bergamasker Magd Aneta kennen, die er bald darauf heiratete. 1939 kam Albina als erste von drei Schwestern zur Welt. Damals lebte auch noch die vierköpfige Familie von Albinas Onkel Marco auf der Loasa, während die Tante Rita in der Crotta wohnte. Wenn die Eltern arbeiteten, betreute der Grossvater die Kinderschar. Giacomos Sohn Enrico lernte 1938 in Caneggio die Bergamasker Magd Aneta kennen, die er bald darauf heiratete. 1939 kam Albina als erste von drei Schwestern zur Welt. |
* Dass sowohl Schmuggler wie Grenzer im selben Haus ein- und ausgingen, tönt paradox, war aber normal: Die Schweiz duldete den Schmuggel; manch ein Schmuggler war mit dieser Berufsbezeichnung in den offiziellen Einwohnerregistern erfasst. Da fast nur von der Schweiz nach Italien geschmuggelt wurde (Zigaretten, Kaffee, Zucker), war er nur zum Schaden Italiens. Einzig während des Kriegs wurde nennenswert auch in die andere Richtung geschmuggelt: Öl, Pasta, Reis. – Der Schmuggel kam 1973 ziemlich plötzlich zum Erliegen, als eine Lira-Abwertung das Geschäft nicht mehr lukrativ sein liess. |
Die Loasa wird im Artikel konsequent «Lüasa» genannt. Das Leben dort war ein Leben in materieller Armut. Nur die Küche war von einem offenen Kamin beheizt (und immer verraucht); man schlief auf Säcken, die mit trockenem Laub gefüllt waren. Hunger aber habe man nie gekannt. Einmal wöchentlich, winters wie sommers, ging Albinas Vater mit Onkel Marco und dem Esel nach Caneggio («Canegg»), um Käse und Gemüse (vor allem Broccoli) zu verkaufen. Ein Zubrot verdiente sich die Familie durch Dienstleistungen für die Schmuggler. Sowohl Schmuggler wie Grenzwächter fanden auf der Loasa eine Herberge.* Dank den guten Beziehungen zu den Schmugglern fehlte es der Familie auch im Krieg nicht an Reis und Pasta. Auch Flüchtlinge überquerten im Krieg öfter die Grenze im Crottatal; mehrmals päppelte die Familie halberfrorene Flüchtlinge auf.
Um nach Mendrisio oder Chiasso zu gelangen (beispielsweise für die Geburt der Kinder) ging man zu Fuss den steilen Pfad runter zur Crotta, wo man sich von Tante Rita Maultier mit Karren auslieh. Die beiden älteren Töchter kamen in der Maternità von Mendrisio zur Welt; bei der Geburt der dritten Tochter konnte die Mutter nicht mehr rechtzeitig in die Ebene absteigen und gebar auf der Loasa. Die bestellte Hebamme kam zu Fuss von Castel San Pietro. Der Weg nach Bruzella («Brüzèla»), wo man sonntags die Messe besuchte, war bereits der selbe wie heute. Auf der Cavazza gab es die Osteria dei Zanetta (die auch schon ein Telefon besass; von hier aus hatte Vater Marco die Hebamme benachrichtigt). Dort eine Gazzosa zu trinken, war für die Kinder immer ein besonderes Vergnügen. 1947, als die älteste Tochter in die Schule kam, zog die Familie nach Orsera am Eingang des Crottatals. Sie habe, sagt Albina Cereghetti, lange unter Heimweh nach der Loasa gelitten. P.S.: Der Artikel im Informatoro ist mit Bildern der 1980er Jahre illustriert – es scheint aus Albina Cereghettis Kindheit keine Fotos zu geben. |